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Wie sieht London 2012 aus?

ARCHITEKTUR: Die Gartenlaube „Alga(e)zebo“ des Südtiroler Architekten Marjan Colletti steht im Euston Square Garden in London. Dolomiten, 11.-12.08.2012
 
Von SARAH ENNEMOSER

LONDON. Ganz anders als die zackige, magentafarbige, quadratische Jahreszahl 2012 im Logo der Olympischen Sommerspiele, ist die schützende Gartenlaube im Euston Square Garden. Keine derben Kontraste greller Farbtöne, jedoch dynamisch, modern und flexibel ist die Stahlstruktur „Alga(e)zebo“ des Südtiroler Architekten Marjan Colletti. Vergleichen kann man die Disziplin des Olympia-Designs natürlich nicht mit der experimentellen Architektur. Entworfen wurden aber beide für die Olympischen Spiele.
          In unmittelbarer Nähe des Univeristy College London, nördlich des Stadtzentrums, ließ der Bürgermeister der Olympiastadt, Boris Johnson, einen Tag vor dem Entfachen der Fackel einen Pavillon mit einem ausgelöcherten, zweifach gebogenen Stahl-Dach im englischen Stil anbringen.
          Sich auf eine eingebaute Bank setzen, sich ausruhen, den Schwarm der hetzenden Großstadt-Leute auf dem Weg zur U-Bahn beobachten und die 6,5 Millionen Olympiabesucher vom Stadion ins Nachtleben vorüberziehen lassen – dazu dient das in Richtung Park und von der Straße nach hinten abgewandte Kunstwerk.
Unscheinbar, inmitten von Gras und Bäumen, integriert sich der architektonische Bau. So manchem Tourist würde das rostende Stahlwerk wohl kaum auffallen. Nur die Sonnenstrahlen, welche durch die Löcher im Dach Licht- und Schattenspiele verursachen, blenden das Auge.


Was heißt„Alga(e)zebo“?
Betrachter, die im für Touristen unüberschaubaren Londoner Alltagsleben dennoch Details bemerken, fallen die Ornamente und die in den eingebauten Säulen wachsenden Algen auf. Die pflanzenartigen Lebewesen in den Bioreaktoren geben dem Projekt den Namen „Alga(e)zebo“. Eine einfache Gartenlaube ist der Stahlbau nicht.
          „In den kleinen Kelchen befinden sich zwei Foto-Bioreaktoren mit Algen. Deshalb habe ich einen Namen zwischen Gazebo, der typischen englischen Gartenlaube, und den Algen gewählt“, kommentiert Marjan Colletti. Es sei schwierig, Naturelemente in Einzelprojekte einzubauen, zumal für dreidimensionale, digitale Projekte noch wenig kompetente Fertigungsfirmen existieren, so der Architekt. Architektur im Einklang mit der Umgebung ist ihm auch bei experimentellen Forschungsprojekten sehr wichtig.
 

Im Einklang mit der Natur
„Gazebos stehen natürlich im Park. Deshalb wollte ich diese klassische Position beibehalten, und weil Parks von Natur aus artifiziell sind, war mir auch wichtig, diesen artifiziellen Charakter der Natur zu verstärken. Ich habe deshalb Bioreaktoren eingebaut. Das Projekt ist von technoider Natur“, erklärt der gebürtige Bozner. Für ihn zählt nicht nur die Zelebration der Spiele, sondern auch der Inhalt.
          „Die Idee hat einen pädagogischen Hintergrund. Studenten sehen, dass wir in der Umgebung miteingebunden sind und dass Architektur auf Umgebung reagiert. Der Stahlbau oxidiert. Auch die Textur des Pavillons hängt von der Umgebung ab. Die Algen-Wachssäulen waren fast so wie ein 'Naturometer'“, führt der Architekt und Universitätsprofessor in Innsbruck fort.
 

Endspurt für das Werk
Synchron mit der letzten intensiven Trainings(oder Dopings)-Phase der Spitzensportler, hieß es Endspurt für die Mitarbeiter von Formstaal, der Firma, die das Kunstwerk nach den Berechnungen von Bolllinger-Grohmann-Schneider aus Wien anfertigte. Wenig Zeit blieb für den achtteiligen Transport nach sieben Wochen Fertigungszeit, um die 90 verschweißten Stahl-Teile von der deutschen Hansestadt Stralsund auf die britische Insel zu schiffen.
          „Obwohl alles handgefertigt ist, war sehr viel 3D digitale Vorarbeit notwendig. Das können nur sehr wenige Hersteller. Wir haben dann in Deutschland mit Formstaal [arbeitet für die Luft-und Raumfahrt, für den Bau von Schiffen und Windkraftanlagen] einen Hersteller gefunden“, erklärt der teils in Bozen, teils in London lebende Architekt.
 

Sieger im Wettbewerb
Gemeinsam mit seinem Kollegen Marcos Cruz gewann der Pädagoge einen von der britischen Regierungsbehörde ausgeschriebenen Wettbewerb mit ungefähr 20 Teilnehmern. „Wir haben den stabilsten temporären Pavillon für die Londoner Spiele gebaut“, meint Colletti. Das Ziel war nicht, ein Ikon der Olympiade zu schaffen.
          „Wir wollten den Park gemütlicher gestalten und einen Platz zur Kontemplation schaffen. Im Sinne des Projektes war es nicht, ein Ikon hinzustellen. Davon gibt es schon genug. Wir wollten nicht Parole bieten. Mit der Größe eines Stadions kann der Bau sowieso nicht konkurrieren. Es geht um die Integration. Die Leute, die den Platz kennen, erfahren eine Aufwertung und die Leute, die den Platz nicht kennen, können sich an etwas Ungewöhnlichem erfreuen und Ruhe finden“, unterstreicht der Architekt.
          Mit diesem Werk hätte sich das Architekten-Team „marcosundmarjan“ wohl eine Medaille verdient. Rosten würden eine Goldmedaille sicher nicht – nachhaltig zum Glanz der Stadt beitragen tun Gold-, Silber- oder Bronzemedaillen allerdings auch nicht. Als Einheimische in der Olympiastadt tut ein Rastplatz mitten im Medientrubel um die Wettkämpfe und die Skandale sicher gut. London 2012 verbirgt wohl noch so einige unauffällige Details.
 

Zwei Bilder:
1: Bis zum Ende der Para-Olympischen Spiele am 9. September können sich Passanten in der rostbraunen Gartenlaube ausruhen.
2: Die eingebauten Bioreaktoren mit Algen integrieren sich in die artifiziell geschaffene Natur des Park.
 

Ein Zitat mit Foto:
„Wir wollten den Park gemütlicher gestalten. Im Sinne des Projektes war es nicht, ein Ikon hinzustellen. Davon gibt es schon genug. [...] Es geht um Integration.“ Marjan Colletti